Hessens Entbürokratisierungsminister Manfred Pentz zu Gast im Studio

Und hier geht es jetzt zum vorerst letzten Teil unsere Serie über bürokratischen Irrsinn, der den Menschen in Hessen und Rheinland-Pfalz das Leben nicht gerade leichter macht. Die Politik hat das Problem mittlerweile erkannt – und kündigt immer wieder groß angelegte Entbürokratisierungsinitiativen an. So auch in Hessen, wo es seit kurzem mit Manfred Pentz erstmals sogar einen eigenen Entbürokratisierungsminister gibt. Er ist zu Gast im Studio – doch vorher nehmen wir Sie nochmal mit auf den Bauernhof. Denn auch die Landwirte klagen darüber, dass sie inzwischen so sehr mit Auflagen und Papierkram beschäftigt sind, dass sie kaum noch dazu kommen, ihre eigentlichen Aufgaben zu erledigen.

Was waren das noch für Zeiten, als die Bauern sich nur nach dem Wetter richten mussten …
Stefan Schneider vom Lanneshof bei Fulda bezeichnet sich selbst als „Landwirt aus Leidenschaft“. Auf den Feldern rund um seinen Hof baut der Milchbauer das Futter für seine Kühe selbst an. Noch mehr als Hitze, Hochwasser und Hagelschlag fürchtet er inzwischen die Bürokratie, die allzu oft mit neuen Teils völlig sinnlosen Auflagen um die Ecke komme.
Beispiel Düngemittelverordnung: Bevor er im Frühjahr mit dem Düngerstreuer oder dem Güllewagen aufs Feld fährt, hat er bereits eine genaue Düngerbedarfsrechnung aufgestellt. Soweit, so gut – doch dann folgt Schritt zwei: Beim Düngen selbst muss er nochmal sämtliche Daten über Düngemittel und –mengen dokumentieren – mit einer Frist von gerade einmal zwei Tagen.
Stefan Schneider, Landwirt
„Das ist in dem Sinne ein bisschen schwierig – weil, wenn es im Frühjahr losgeht, dann ist das auch nicht in zwei Tagen erledigt. Dann ist man am Fahren und am Düngen, dann muss man immer diese kurzen Zeitfenster ausnutzen. Und wenn die Dokumentation in, ich sage mal, 14 Tagen oder drei Wochen passieren müsste, wäre das auch kein Problem. Aber nein, das muss innerhalb von zwei Tagen natürlich schon passiert sein.“
Und es geht noch weiter: In einem dritten Schritt muss er dann bis Ende März noch einmal alles zusammenrechnen und eine Gesamtbilanz ermitteln. Dabei muss er den genauen Zu- und Abgang von Phosphor und Stickstoff noch einmal gesondert aufführen – und das, obwohl die Daten längst vorliegen. Da verwundert es kaum noch, dass sechs Monate später noch eine so genannte „Stoffstrombilanz“ fällig wird – mal wieder mit den gleichen Daten.
Dicke Luft auch im Kuhstall: Den Kühen dürfte es zwar herzlich egal sein – doch auch hier steckt jede Menge Bürokratie drin – das beginnt schon bei den Daten zum Tierbestand.
Stefan Schneider, Milchbauer
„Innerhalb von sieben Tagen muss jeder Zu- und Abgang von einem Tier gemeldet werden in der Datenbank. Und wenn man jetzt keine andere Person im Betrieb hat, die das machen kann, dann kann man theoretisch eigentlich auch nicht länger als sieben Tage in den Urlaub fahren.“
Meldung machen muss der Landwirt nicht nur beim Landesamt für Statistik, sondern auch bei der Tierseuchenkasse und bei der Antibiotika-Datenbank – dabei könnten die verschiedenen Behörden die immer gleichen Angaben eigentlich auch einfach untereinander austauschen.
Insgesamt habe sich der bürokratische Aufwand für Landwirte in Hessen innerhalb von gerade einmal zehn Jahren mehr als verdoppelt. Für Stefan Schneider deshalb eigentlich kein Wunder, dass die Landwirtschaft Nachwuchssorgen hat.
Stefan Schneider, Landwirt
„Die 70- oder 80-Stunden-Woche, damit haben die jungen Leute kein Problem. Also, dass in der Landwirtschaft viel gearbeitet wird, ist nicht das Problem für junge Landwirte. Aber diese überbordende Bürokratisierung und teilweise sinnlose und doppelte und dreifache Meldung und Dokumentation – das ist das, was die jungen Leute mürbe macht.“
Und was hält der Landwirt vom Versprechen der Politik, der Bürokratie den Kampf anzusagen?
Stefan Schneider, Landwirt
„Das Wort Entbürokratisierung – wenn wir das hören, wir Landwirte, das hören wir nur mit Schrecken. Jedes Mal, wenn das Wort kommt, wissen wir: Wir müssen losfahren und neue Ordner kaufen.“
Statt sich um die Äcker und das liebe Vieh zu kümmern, verbringt Stefan Schneider inzwischen etwa ein Viertel seiner gesamten Arbeitszeit am Schreibtisch. Weil weder die Landwirtschaft noch die Behörden einen Aufschub dulden, meist abends oder an den Wochenenden.
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Eva Dieterle, Moderatorin:
Und jetzt sprechen wir mit dem Mann, der Hessen entbürokratisieren soll, mit Manfred Pentz. Guten Abend.
Manfred Pentz (CDU), Minister für Bund, Europa und Entbürokratisierung:
Guten Abend.
Dieterle:
Herr Pentz, Sie haben es gerade im Beispiel gesehen, aber nahezu in allen Lebensbereichen ist es so, dass die Bürokratie wächst und wächst und wächst. Es gibt jährlich steigende Zahlen an Gesetzen, an Rechtsvorlagen und man fragt sich: Warum ist das so?
Pentz:
Klar, es ist eine Entwicklung, der wir Herr werden müssen. Und das ist auch der Grund, warum wir als hessische Landesregierung als erstes Ministerium deutschlandweit gesagt haben: “Wir wollen dieser Thematik Kabinettsrang geben. Ich bin der erste Entbürokratisierungminister. Es ist eine Riesenaufgabe, Sie haben es eben an diesen Beispielen gesehen. Aber wir widmen uns dieser Aufgabe, weil wir natürlich spüren, dass in den letzten Jahrzehnten – klar, die Welt ist auch komplexer geworden -,aber in den letzten Jahrzehnten, gerade in Deutschland die Bürokratie in vielen Bereichen extrem aufgewachsen ist und dieser Dinge müssen wir jetzt Herr werden.
Dieterle:
Ich will noch mal, bevor wir gleich über die Aufgaben sprechen, beim Beispiel bleiben. Ja, der Landwirt, aber auch viele Bürger kennen das, muss mit den immer gleichen Daten zu verschiedenen Behörden gehen. Das macht ja eigentlich effektiv wenig Sinn. Warum kann es nicht untereinander ausgetauscht werden?
Pentz:
Es gibt natürlich datenschutzrechtliche Dinge immer, die man auch bedenken muss. Aber ich muss Ihnen ganz offen sagen, mich nervt es auch. Und ich verstehe mich als Entbürokratisierungsminister als Auge und Ohr der Bürgerinnen und der Bürger. Ich will genau diese Dinge anpacken. Mir geht es ja genauso. Als ich vor kurzem bei einer Behörde war und mir gesagt wurde: “Na ja, du musst aber dies und das noch in der Stelle holen und dazu brauchen wir noch das und jenes” und ich mir gedacht habe: “Moment mal, dieser Staat weiß doch, dass ich existiere. Ich habe einen Personalausweis und es müsste eigentlich jede Stelle wissen, wer ich bin, wo und weshalb.” Und diese Dinge werden wir angehen. Und meine Bitte ist an die Bürgerinnen und Bürger und deswegen bin ich auch heute hier: Schreiben Sie mir, sprechen Sie mich an! Viele tun es schon. Aber was wir jetzt machen, ist auch eine zentrale E-Mail-Adresse darzustellen und ich werde diesen Dingen nachgehen, auch gemeinsam mit dem Landwirtschaftsminister Ingmar Jung, die der Landwirt aus Fulda eben angesprochen hat.
Dieterle:
Was genau können Sie denn in Hessen bewegen? Es gibt viele Verordnungen, die kommen von EU-Ebene, dann gibt es Verordnungen von Bundesebene. Aber Sie in Hessen, was können Sie bewegen, an was kann man sie in fünf Jahren denn messen?
Pentz:
Na ja, an unseren Behördengängen. Also wenn ich jetzt einfach über unsere Ministerien rede und wenn wir da Themen haben, derer wir uns annehmen können, dann werden wir es tun. Die Vereine zum Beispiel haben mir in den letzten Jahren oft gesagt, sie möchten nicht mehr so viele Formulare ausfüllen für vieles. Sie möchten von der GEMA befreit werden. Das packen wir jetzt an! Ich kann mir auch vorstellen, dass zum Beispiel Vereine in eine Art Kleinstunternehmer-Steuerrechtslinie kommen und somit dann keine großen Steuererklärungen mehr ausfüllen müssen. Denn es ist ja der Punkt, den der Landwirt angesprochen hat. Ein Landwirt soll doch bitte seine Arbeit original nachgehen. Und gerade wenn es kleine Unternehmen sind, die müssen wir unterstützen. So geht es den Vereinen auch. Und dafür bin ich da und das werde ich anpacken.
Dieterle:
Es sind viele kleine und große Punkte. Sie sagen, Sie packen es an! Es gehört natürlich einfach zur Wahrheit auch dazu, dass die CDU in Hessen ja schon seit fast 25 Jahren regiert. Da muss man sich die Frage gefallen lassen: Warum erst jetzt?
Pentz:
Natürlich, und da müssen wir immer selbstkritisch sein. Aber ich kann Ihnen sagen, ich habe gerade im letzten Wahlkampf, als ich noch Generalsekretär der CDU Hessen war, gespürt im Wahlkampf, es gibt mittlerweile teilweise eine Distanz von den Menschen zu den Behörden, und das darf nicht sein. Und die ist entstanden über die vielen Jahre und Jahrzehnte, vielleicht auch gut gemeinte Gesetze, vielleicht auch gut gemeinte Verordnungen.Aber ich kann Ihnen sagen, es ist auch eine Mentalitätsfrage. Es ist nicht nur Politik, sondern es ist sozusagen: Wir Deutsche wollen die Dinge immer zu 180 % umsetzen. Ich erlebe das, wenn ich mit meinen Kollegen in Europa rede und es über Emissionsschutz etc. geht. Warum funktioniert das in Frankreich, in Spanien viel eleganter, viel entspannter? Warum gibt es eine Veredelung von Gesetzen nur in Deutschland und in Österreich? Und es ist auch eine Mentalitätsfrage, der wir uns selbstkritisch, wir als Regierung, aber die Menschen insgesamt – und auch das ist meine Aufgabe – den Spiegel vorhalten. Und ich werde jetzt durch Hessen touren sozusagen und einfach auch mal hören: Was nervt Sie? Sagen Sie mir konkret Ihr Beispiel bei der Behörde etc.. Lasst es uns gemeinsam angehen und in fünf Jahren wollen wir uns wieder hier treffen und sagen können: “Wir haben einiges entschlackt und wir haben vielleicht auch einiges, was wir noch an Brettern zu bohren haben.”
Dieterle:
Das werden wir in fünf Jahren machen. Spätestens. Vielen Dank, dass Sie heute mit diesen neuen Ansätzen bei uns waren.
Pentz:
Sehr gerne. Danke schön.